Essay

Warum du Bäume pflanzen sollst

von Tobias Sierig

Die Wetterportale haben für diesen Februarnachmittag Regen und Graupelschauer angekündigt. Es frischt nasskalt auf, als die Mitglieder von TinyForestBerlin Spaten und Grubber durchzählen, um sicherzugehen, dass auch alle Forst-Aktivistinnen ein Werkzeug in die Hände bekommen. Später werden sie bei strömenden Regen mit bloßen Fingern Ziegelsteine aus dem Berliner Boden buddeln, um Platz für neunzig junge Bäume zu schaffen. Warum eigentlich?

Jahrzehntelang haben Menschen den Klimawandel wahlweise verleugnet, verharmlost oder ignoriert. Es dämmert auch hartnäckigen Wachstumsapologeten, dass der galoppierende Anstieg der Gasfraktion des Kohlenstoffdioxid (CO2) in der Atmosphäre nicht gut sein kann. Die Folgen des dadurch verstärkten Treibhauseffekts sind vielerorts bereits zu spüren.  Die Zahl der Klimatoten dürfte nach Schätzungen der Weltbank und der Weltgesundheitsorganisation bereits in die Millionen gehen.

Bäume bestehen etwa zur Hälfte aus Kohlenstoff. Bei der Photosynthese extrahieren sie dieses Element aus dem CO2 und stellen daraus energiereiche Moleküle wie Cellulose her. Holz besteht vor Allem aus diesem Vielfachzucker und kann so für Jahrhunderte zum Kohlenstoffspeicher werden. Bäume sind potente Klimaretter. Ob man Sie pflanzen sollte, hängt aber vom Timing ab – und von der Location.

Das Zusammenspiel zwischen dem Klima und der Vegetation ist kompliziert. In der Wissenschaft finden sich dafür die Wortungetüme biogeochemische und biogeophysikalische Wechselwirkungen. Zwar nehmen die Landpflanzen Jahr für Jahr die gewaltige Menge von 120 Gigatonnen Kohlenstoff auf. Weil sie aber selbst atmen und über abfallendes Laub und verrottendes Holz Biomasse freisetzten, wird der größte Teil des Kohlenstoffs wieder in die Atmosphäre abgegeben. Immerhin dürften die Landpflanzen in den letzten Jahrzenten global betrachtet jährlich etwa sechs bis sieben Gigatonnen CO2 aufgenommen und festgehalten haben. Ein Allheilmittel gegen den Klimawandel sind sie damit nicht.

Wissenschaftler der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich rechneten im Jahr 2019 vor, dass auf einer Fläche von der Größe der USA neu aufgeforstete Wälder 205 Gigatonnen Kohlenstoff speichern könnten. Das entspräche 750 Gigatonnen CO2 und damit etwa der zwanzigfachen Menge dessen, was wir Menschen Jahr für Jahr ausstoßen. Die Studie, die in der seriösen Wissenschaftszeitung Science publiziert wurde, löste teilweise heftigen Widerspruch aus. Beispielweise sei der in den aufzuforstenden Böden fixierte Kohlenstoff,der beim Neupflanzen zwangläufig freigesetzt wird, nicht berücksichtig worden. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten die aus Zürich stammenden CO2-Bindungspotentiale für viel zu hoch gegriffen.

Eine einfache Rechnung hilft, die Rolle der Bäume als CO2-Stabsauger einzuordnen: Ein Quadratkilometer mitteleuropäischer Wald kann pro Jahr etwa 600 Tonnen Kohlenstoffdioxid binden – eine große Eiche schafft bei gutem Wachstum etwa 20 Kilogramm CO2 im Jahr. Aber: Nur in einziges modernes Windrad produziert im gleichen Zeitraum mehr als zehn Millionen Kilowattstunden Strom und vermeidet damit locker 3.000 Tonnen CO2-Emissionen.

Forschende des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena hatten schon im Jahr 2005 angemerkt, dass es nicht sinnvoll ist, eine intakte Wiese aufzuforsten. Beim Umgraben wird auch das komplexe unterirdische Ökosystem aus Humus, Wurzeln und Millionen winziger Organismen zerstört. Die jungen Bäume müssten dann schon achtzig Jahre wachsen, um mehr Kohlenstoff zu speichern als zuvor im Gräser-Biotop fixiert war.

Wälder haben eine geringe Albedo. Ihre Reflexionsleistung ist also viel geringer als etwa die einer hellen Betonfläche. Wenn dieser Effekt die durch die Bäume verursachte Verdunstungskälte übertrifft, können sie ihre unmittelbare Umgebung sogar erwärmen. Forschende vom Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung postulieren, dass höher-alpine Bergwälder einen wärmenden Effekt haben. Weil deren Vegetationsphase besonders kurz ist, nehmen sie wenig Kohlenstoff auf und verdunsten auch weniger.  Weil sie ihre schlechtere Albedo im Vergleich zu einer schneebedeckten Fläche damit nicht kompensieren können, dürften sie eher zur Klimaerwärmung beitragen.

Wer Bäume pflanzt, wird der Natur Wasser entnehmen, den dieses wird für die pflanzliche Photosynthese gebraucht. Pflanzen transpirieren zudem Wasser über die Spaltöffnungen ihrer Blätter und sie erhöhen auch die Verdunstung des Bodens. Im Sommer können Laub- und Nadelwälder so zwei bis drei Liter Wasser pro Quadratmeter an die Atmosphäre abgeben – das ist mehr, als es in vielen Regionen regnet.  Bäume sind also keine Wasserspeicher. Neuere Forschungsergebnisse legen allerdings nahe, dass Wälder Niederschlagsmengen erhöhen können. Damit bleibt die Rolle der Bäume für den Wasserhaushalt ambivalent.

Bäume sind also beim CO2-Schlucken jedem Windrad unterlegen, sie verbrauchen Wasser und können ihre Umgebung sogar erwärmen. Warum solltest Du sie pflanzen?

Die Diskussion über den Klimawandel steckt voller teils absichtlich gespannter Fallstricke:  Solarzellen reflektieren weniger Strahlung in den Weltraum als helle Dachziegeln und können so ihre unmittelbare Umgebung erwärmen. Aber natürlich macht sie das nicht zu Klimakillern, weil sie – genau wie Pflanzen – einen guten Teil der einfallenden Energie für uns Menschen nutzbar machen. Und tatsächlich können Wälder gegenüber Flächen mit besserer Albedo höhere Temperaturen produzieren.  Ein internationales Team von Forschenden der ETH Zürich veröffentlichte jedoch im Jahr 2021 eine Untersuchung über den Einfluss städtischer Grünflächen auf die urbanen Temperaturen. Sie verglichen hochauflösender Satellitenaufnahmen europäischer Städte und fanden heraus, dass Flächen mit Bäumen 4 bis12 Grad kühler waren als bebaute Areale. Die Bäume kühlten die Städte dabei deutlich effektiver als andere Grünflächen.

Gebietseigen Bäume – also Vertreter solcher Arten, die sich in ihre Regionen in Jahrtausenden integriert haben – bieten als komplexe Biotope vielen Lebewesen eine Heimstätte. Gleichzeitig sind sie in übergeordnete ökologische Lebensräume integriert. Schmetterlinge, Vögel, Käfer und kleine Säugetiere leben zum Beispiel in und bei Eichen, die als Ökotope besonders wertvoll sind. So stabilisiert jeder einzelne dieser Bäume die Artenvielfalt.

Bäume sind keine Kraftwerke und taugen auch nicht dazu, unseren überbordenden Energiehunger zu kompensieren. Aber sie speichern Kohlenstoff. Weil jedes Molekül CO2 den Treibhauseffekt unserer Atmosphäre verstärkt, wirken sie diesem entgegen. Der Weltklimarat IPPC zählt Aufforstungen in seinem Bericht aus dem April 2022 zu den Maßnahmen, die den Klimawandel wirksam abmildern können.

Wälder entstehen auf vielen urbanen Brachen ohne menschliche Hilfe. Aber wie wir in den vergangenen heißen Dürrejahren erfahren haben, läuft uns die Zeit davon. Wir müssen unsere Städte jetzt an die werdende Klimarealität anpassen – auch mit Spaten und Gießkanne. Wenn Menschen in den verdichteten Wohnquartiren selber Gartenwerkzeuge in den Boden führen, werden sie dies im Team unternehmen. Dabei dürften sie erfahren, dass gemeinschaftliches Handeln taugt, um Menschheitsprobleme wie die Klimakrise zu überwinden. Urbanes Baumpflanzen wird so zu Gemeinsinn-stiftendem Umweltschutz.